Was kommt danach, was war überhaupt davor?
Manchmal sprechen Bilder ihre eigene Sprache. Am 28. Februar knallten am Abend nach dem ersten Wahlgang die Sektkorken bei den Anhängern des Amtsinhabers Dr. Volkmar Kunze. Sie feierten ein gutes Ergebnis, wenn auch der Ausgang der bevorstehenden Stichwahl noch völlig offen war.
Zwei Wochen später ist klar: mehr als die Hälfte der Zeitzer*innen, die am Stichwahltag den Weg an die Urnen fanden wollten einen Wechsel an der Rathausspitze und Christian Thieme machte als Wahlgewinner die Flasche auf.
58,8% für Newcomer Thieme, 41,2% für Amtsinhaber Kunze. Was war passiert?
Wer die letzten Wochen wachen Auges und mit offenem Ohr durch die Stadt ging und mit den Menschen sprach konnte den Wunsch nach Veränderungen wahrnehmen. Die Sehnsucht danach, in einer Stadt zu wohnen ohne den Ruf von Stagnation und permanentem Verfall geht bei vielen Menschen mit dem Wunsch einher, das Verliererimage abzustreifen und eine Orientierung zu haben, aus der sie so etwas wie Zuversicht und Hoffnung schöpfen könnten. Dabei stehen in sachlichen Gesprächen nicht vordergründig bloße Vorwürfe von etwa unverzeihlichen Fehlern des Amtsinhabers im Vordergrund. Es fehlt das Vertrauen in die Kompetenz, den Veränderungsbedarf zu erkennen und die richtigen Hebel anzusetzen.
Präsenz und Inhalt
Warum der Amtsinhaber mit breiter Unterstützerallianz aus Stadtratsfraktionen und Unternehmen nicht überzeugen konnte ist schwer einzuschätzen. Vielleicht gerade deshalb? Vielleicht glauben viele eben wegen der breiten Unterstützung nicht an eine Veränderung. Neu ist das nicht. Es gibt vergleichbare Erfahrungen von gescheiterten Allianzen aus anderen Städten. Allein in Materialschlachten und Mediennetzwerken platzierte zurückliegende Erfolge müssen eben nicht zwingend auch die Empfänger erreichen und überzeugen.
Womöglich hielten diese Empfänger bis zu dieser Stichwahl das, was ihnen als Erfolge aufgezählt wird ja auch für das, was schlicht der Job von Rat und Oberbürgermeister sein sollte – den Verkehr vernünftig organisieren, Sehenswürdigkeiten vermarkten, Straßen und Plätze in Ordnung bringen, Investoren konstruktiv begleiten, gepflegten Umgang mit Gewerbetreibenden haben, kulturelle Angebote machen….
Nicht alle Wähler*innen sind vergesslich
Hin und wieder erinnern sich Wähler*innen auch an eine ähnliche Allianz vor sieben Jahren, in deren Folge der jetzige Amtsinhaber überhaupt erst ins Rathaus einziehen konnte. Damals hatte ebendiese Allianz den damaligen Amtsinhaber für einen gemeinsamen Kandidaten davon gejagt, der wenig später das Handtuch warf. Was Beim Erinnern geholfen haben mag ist die jüngste Nominierungsposse im Ortsverband der CDU, die der Nominierung einer eigenen Kandidatin mit dem Beschluss zur Unterstützung des Amtsinhabers zuvor kam. Mit einer Mehrheit von gerade einmal 12 : 11 Stimmen. Solche Ungeschicklichkeit kann weder als eine vertrauensbildende Maßnahme „die Respekt verdient“ (Zitat Leserbrief) bezeichnet, noch sollte damit gerechnet werden, Wähler*innen würden das mal eben übersehen.
Und wieso der „Neue“?
Es ist wohl so, dass viele Menschen nach einer Orientierung suchen, die so etwas wie eine gemeinsame Zuversicht in die Zukunft vermittelt. Dass dies dem Amtsinhaber und seinen Unterstützern nicht gelungen ist hat sehr viel mit Sprache und Dialog, mit Gefühl und Vertrauen zu tun. Was hielt sie denn bisher davon ab, auf die Kompetenz auch der Bürgerschaft zu vertrauen, sie in einen offenen und transparenten Dialog darüber einzubinden, wohin und in welchen Schritten sich diese Stadt einmal entwickeln soll? Vereinfacht und natürlich subjektiv ausgedrückt war der Duktus der Ansprache „wir machen das schon für euch“ nicht geeignet, zu mehr Vertrauensbildung beizutragen.
Der Herausforderer trifft offensichtlich nicht nur den richtigen Ton und ordnet die Wichtigkeit richtig ein, wenn er über Entwicklung, Vision und Image, von Dialog, Gemeinsamkeit und Beteiligung spricht. Die Wählerschaft nimmt ihm mit ihrer Entscheidung auch die Kompetenz ab, die ohne Zweifel gut angebahnten Beziehungen zu Wirtschaft und Gewerbe zielstrebig aufzunehmen und traut ihm zu, Rat und Verwaltung sowie große Teile der Bürgerschaft hinter sich zu versammeln.
Die alten Chinesen sind weise Menschen gewesen:
„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“
Die Wähler*innen spürten wohl, dass Christian Thieme zu den anderen gehört, die Windmühlen bauen. Wenn Rat und Verwaltung ihm dabei helfen kann das etwas werden mit den Veränderungen.