Etwas über Schulwege einst und heute
Gestern war Klassentreffen. Im 47. Jahr nach dem Schulabgang. Zeit für Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. Der täglich ereignisreiche Schulweg damals zu Fuß quer durch die Stadt etwa. Im Frühling das morgendliche Gezwitscher der Vögel, Blütenduft strömt aus Gärten und dem nahen Park. Sommers das Licht und die neuen Schuhe litten beim Fußball mit den Kieselsteinen. Geheimnisvoll wabernde Nebelfiguren im Herbst über dem feuchten Laub und im Winter das knirschende Stapfen durch Schneewehen und Schlittern über zu gefrorene Pfützen. Zwischendurch hin und wieder eine kleine Biostunde unterwegs – Selbststudium: wie hieß doch gleich dieser Laubbaum dort? Schulwege haben etwas. Sie machen Laune, bauen Schulstress ab, sind lehrreich und fit halten sie obendrein.
Ob das heute wohl anders wäre nähme man sich die Zeit für Schulwege. Lehrreich wenigstens sind sie noch heute. Wie der hier.
Morgens kurz nach Sieben vor einer Zeitzer Schule. Kaum Kinder auf dem Schulweg, der in einer Sackgasse endend schon auf dem Weg bis dort hin verbaut ist mit abenteuerlich abgestellten Autos. Die Sackgasse direkt vor dem Schultor kreuz und quer vollgestopft bis in den letzten Winkel mit der Deutschen liebstem Stück. Die Menschen haben es eilig. Manche telefonieren trotzdem. Hier waghalsige Wendemanöver, dort flackernde Bremslichter, da jaulende Motoren, überall Geschimpfe. Entweder auf ein Kind oder ein Auto. Dazwischen unter Anweisung aufgeregter Eltern um die rangierenden Autos tänzelnde Kinder. Ein blökender Vater, wild gestikulierend Arme und Kopf aus dem Fenster hängend, lässt laut wissen, er müsse eiligst zum Dienst. Während der leicht übergewichtige Sohnemann, die Hände tief in den Taschen vergraben, über den Hof schlürft zerrt Mutti fahrig den Schulranzen aus dem Kofferraum und trägt ihn zum Schulhaus. Das arme Kind, dessen Schulweg nicht länger sein durfte als fünfzig Meter. Mehr ist nicht zumutbar. Der blökende Papa indes lauthals bekannt gab er hätte bald die Schnauze voll, dieses Theater aber auch jeden Morgen auf diesem Schulweg.
Vogelgezwitscher, Blütenduft, Nebelgewaber, Selbststudium eingetauscht gegen Morgenstress für Morgenmuffel. Irgendwann, beim 40. Klassentreffen vielleicht, werden sie sich gemeinsam erinnern, wie sie sich betrogen haben. Betrogen um schöne Morgenstunden und den Schulweg.