Ist die AfD so volksnah wie sie tut?
Kürzlich las ich von der AfD zu ihren kulturpolitischen Ansätzen, sie wolle die Kulturförderung neu quotieren. Die Kulturmacher, die sich programmatisch „der deutschen Leitkultur“ verpflichtet fühlten sollten mehr gefördert werden als andere. Im Landeswahlprogramm liest sich das so:
Die Bühnen des Landes Sachsen-Anhalt sollen neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals irgendeine Partei, auch nicht die sog. Etablierten, gewagt hätte Bühnen vorzuschreiben, wie sie zu inszenieren haben. Jedenfalls nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Das allerdings brachte mich nun zum Entwurf des Grundsatzprogrammes der AfD. Denn dort will die AfD unter anderem, dass Politik überhaupt keinen Einfluss auf die Kultur nimmt. Nicht der einzige Widerspruch.
Rein rechnerisch. Darf man das?
Darf ich das denn, mich in diesen Zeiten öffentlich zur AfD, deren Ergebnisse und deren Programmatik äußern? Oder bin ich dann schon ein der Lügenpresse Zugehöriger? Ich denke ich darf.
Immerhin, rein rechnerisch hat jeder Vierte, der mir in Zeitzer Straßen begegnet AfD gewählt. Sogar jeder Dritte gab seine Erststimme Andre Poggenburg, dem bisher schweigsamen Kreisrat.
Nun lese ich im Grundsatzprogramm der AfD und….ja, ich denke ich muss mich dazu äußern.
Viel Nebel. Doch wo es konkret wird tut es weh.
Weite Teile des Programmentwurfs präambeln im AfD-deutsch so vor sich hin, sprechen von „den Etablierten“, die „Gesetze mit Füßen treten“, vom „Ausverkauf unserer nationalen Interessen“. Spannend wird es erst dort, wo die AfD die Marktplatzbühne verlässt, konkret wird und erklärt, was sie als Opposition erreichen will. Bringt sie die bemerkenswertesten politischen Ziele tatsächlich in den parlamentarischen Raum werden sich einige der Dritten und Vierten verwundert die Augen reiben. Hoffe ich zumindest.
Sozialversicherung? Was soll das denn?
Nun hat die AfD aufgeschrieben, wie sie ihre Rückbesinnung auf alte Werte verstanden wissen will. In Punkt VI. „Soziale Sicherheit“ finden wir auf Seite 34 folgendes:
„Die AfD hält die gesetzliche Unfallversicherung für Arbeitnehmer nicht mehr für zeitgemäß.“
Zuvor hat sie für die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung plädiert. Statt einer gesetzlichen staatlichen Versicherung sollen sich nun Arbeitnehmer freiwillig entscheiden können. Wird sich für viele die Frage stellen WOVON? Die AfD schreibt hierzu auf Seite 35:
Wir wollen das Arbeitslosengeld I privatisieren. Arbeitnehmern steht dann der Weg offen, mit eigenen und individuell maßgeschneiderten Lösungen für den Fall der Arbeitslosigkeit vorzusorgen. Dabei können private Versicherungsangebote ebenso eine Rolle spielen wie die Familie oder der Verzicht auf Absicherung zugunsten des schnelleren Aufbaus von Ersparnissen.
Das bestehende Solidarprinzip, die Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Risiko Arbeitslosigkeit will die AfD also beenden. Einseitig zulasten der Arbeitnehmer.
Hier kommt für die AfD die Verantwortung der Familie ins Spiel. Die Familie also als künftiger Sozialversicherungsträger, nicht der Staat. Darüber deckt die AfD den Nebel Freiheit, indem sie das wie folgt begründet:
„Wir erkennen dabei, dass das Umlagesystem Halt in schwierigen Zeiten geben kann, gleichzeitig aber auch die Selbständigkeit des Bürgers untergräbt und bewährte familiäre Strukturen unterlaufen kann. Wir wollen daher eine Reform der sozialen Sicherungssysteme.“
Halt in schwierigen Zeiten? Sozialversicherungen, die „die Selbständigkeit des Bürgers untergraben und bewährte familiäre Strukturen unterlaufen..?“ – hier muss man sich schon fragen, in welcher Realität sie bislang lebten, die das aufschrieben.
Jede Menge Widersprüche.
Interessant ist auch das Kapitel, in dem die AfD programmatisch ausbreitet wie sie künftig „Lügenpresse“ vermeiden, heißt die jetzigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten verhindern will. Sie schreibt zum Einen
„Der Beitragsservice wird ersatzlos abgeschafft.“
doch zum anderen:
Die staatliche Informationsversorgung wird durch einen steuerfinanzierten Rundfunk mit zwei Rundfunksendern und zwei Fernsehsendern geleistet.
Apropos Medienpolitik. Am Wahlabend rief jener bisher im Kreistag wirkungslose Andre Poggenburg in Anwesenheit der „Lügenpresse“ mal eben die AfD als Volkspartei aus. Um dann zum Interview mit COMPACT zu verschwinden. Compact, ein Magazin, das die Attentate in Brüssel so kommentierte:
Asylchaos: An Merkels Raute klebt das Blut der Opfer von Brüssel
Ein Magazin mit einem für mich beängstigenden Ansatz von Meinungsfreiheit in den Medien. Von Anbeginn beliebter Tummelplatz der AfD.
Nicht der einzige Widerspruch im Grundsatzprogramm der AfD. In den Auslassungen zur Kulturpolitik gibt die AfD vor, sie wolle den „Einfluss der Parteien auf das Kulturleben zurückdrängen, gemeinnützige private Kulturstiftungen und bürgerschaftliche Kulturinitiativen stärken“. Gleichzeitig will sie aber doch politisch Einfluss nehmen, wenn Sie auf Seite 51 schreibt:
Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.
Man ist geneigt, den Programmatikern Theaterkarten und Büchergutscheine zu schenken, um sie erleben zu lassen wie sie wirklich ist, die „deutsche Erinnerungskultur“ in den Kulturinstitutionen hierzulande. Jedenfalls aktuell nicht auf den Nationalsozialismus verengt.
AfD, eine Partei für die Bürger?
Nicht nur in ihren Betrachtungen zur Steuerpolitik bekennt sich die AfD ganz offensichtlich zu gut betuchten Unternehmen und Reichen, nicht zu denen, die sie gewählt haben. Sie schreibt auf Seite 30 zu ihren Steuerplänen:
Die AfD will die Gewerbesteuer abschaffen. Um die kommunale Selbstverwaltung zu stützen, sollen die Kommunen eine andere Besteuerungsquelle bestimmen dürfen.
Die Alternative für Deutschland will die Erbschaftsteuer ersatzlos abschaffen.
Andere Besteuerungsquellen für Kommunen? Welche könnten das wohl sein, die hier als Quelle überhaupt in Frage kommen, wenn nicht die Bürger*innen? Und wer anderes als die Reichen werden begünstigt, wenn die ersatzlose Abschaffung der Erbschaftsteuer von der AfD gefordert wird?
Weltfremd und bürgerfern ist auch, wie sich die AfD etwa zu Alleinerziehenden äußert:
Wer unverschuldet in diese Situation geraten ist, verdient selbstverständlich unser Mitgefühl und die Unterstützung der Solidargemeinschaft. Eine staatliche Finanzierung des selbstgewählten Lebensmodells ,Alleinerziehend’ lehnen wir jedoch ab….Der Staat sollte stattdessen das Zusammenleben von Vater, Mutter und Kindern durch finanzielle Hilfen und Beratung in Krisensituationen stärken“
In ihrer Begründung zu dieser beabsichtigten Ausgrenzung von Menschen argumentiert die AfD zudem mit falschen Einschätzungen. Denn Alleinerziehende sind überwiegend gut ausgebildet: 78 Prozent verfügen über einen mittleren oder hohen Bildungsabschluss. Und: Wir sprechen hier über 1,6 Millionen Menschen in Deutschland.
Mehr C02-Produktion dank AfD?
Gänzlich wirr wird es in der Umwelt- und Energiepolitik. Die AfD mit den „Plänen zur Dekarbonisierung“ Schluss machern und „CO2-Emissionen wollen wir finanziell nicht belasten“, steht im Programm. Wie das kommt erklärt sich die AfD aus nachfolgender Erkenntnis:
CO2-Emissionen wollen wir finanziell nicht belasten. Kohlendioxid (CO2) ist kein Schadstoff, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens.
Nun, dass wissen alle anderen schon länger. Als ginge es darum. Aberwitzig ist allerdings, wie die AfD sich ihre CO2 Ziele erklärt:
Je mehr es davon (vom CO2) in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus.
Vor dem Hintergrund solcher Schlussfolgerungen gleichzeitig die Förderung regenerativer Energien grundsätzlich in Frage zu stellen grenzt beinahe schon an Wahnsinn, wenn man weiß, wie es weltweit um die Ressourcen zur Energiegewinnung aussieht.
Schlussbetrachtung
Es ist zuletzt im politischen Diskurs viel an Gesprächskultur verdorben worden. AfD-Anhänger wurden allzu schnell in die rechte Ecke gestellt, während sich AfD-Kritiker dem Vorwurf ausgesetzt sahen, sie wollten keine echte Demokratie oder gehörten eben jener ominösen Lügenpresse an, wären gleichgeschaltet.
Dabei bietet allein dieser kleine Ausschnitt aus den programmatischen Ansätzen allerlei Spielraum für echte Auseinandersetzung. Wahrscheinlich werden diese Auseinandersetzungen doch wieder jene „Etablierte“ führen müssen. Ich fürchte fast, jede*r vierte Zeitzer*in wird sich kaum die Mühe machen. Obwohl, ich will nicht wirklich glauben, dass sie solches wie oben beschrieben wirklich haben wollen, jede*r Vierte oder gar jede*r Dritte.
Weil wir hier auf diesen Seiten viel in Kultur machen:
Nichts gegen Heidi. Shakespeare ist aber auch ganz schön.
Wer hier in den Niederungen etwa in Kultur macht oder in Sozialpolitik, der Arbeitsloser ist oder Arbeitnehmer, dem mindestens sei empfohlen, hin und wieder den Blick hinter die Plakatkulissen zu machen.