Kosmopolitisch zu sein ist schwer geworden in der Provinz dieser Tage. Zwar liegt uns die Welt in der Virtualität mittlerweile gänzlich zu Füßen und die Möglichkeit der Informationsbeschaffung und Teilnahme scheint unbegrenzt, doch vielen Menschen macht das Angst. Die Unsicherheit und Sehnsucht nach Halt in einer zunehmend komplexeren Welt wächst. Man könnte meinen, das Internet bzw. die neuen Medien schaffen mit neuen Freiheiten auch neue Ängste und beflügeln eine Kehrtwende. Man schimpft und meckert über Trump und Merkel, verflucht die Eliten und echauffiert sich über die Politik. Und jeder scheint es besser zu wissen.
Indes teilen Flüchtlingsfragen Freundeskreise und Familien. Und die Erregung in den sozialen Medien hat gefühlt den Zenit erreicht, trotz Wohlstand und stabilen Verhältnissen hierzulande. Wie kommt es zu einer solch ambivalenten Entwicklung? Skeptisch zu sein ist zwar gesund, aber sobald Skepsis in Intoleranz oder gar Hass umschlägt, wird sie gefährlich. Ein derartiges Symptom unserer Zeit ist ein sozial-politisches Phänomen: Das Aufflammen des Nationalismus. Mit allen Klischees die ihm so lange hinterhergesagt werden: Vorurteile, Menschenfeindlichkeit, Ausländerhass, Stereotype und fehlendes Reflexionsvermögen. Gerade ländliche Regionen und Kleinstädte sind davon betroffen, Orte mit einer augenscheinlichen Rückwärtsentwicklung. Das zeigt sich auch wieder am Dienstag den 11.4. – die AfD demonstriert gegen Chancengleichheit auf dem Zeitzer Altmarkt. Stellt euch dagegen!
Den Argumenten mehr Raum geben
Ein positiver Aspekt der Globalisierung sei, so könnte man trotzdem meinen, die Teilhabe am Weltgeschehen. Die Welt als Kollektiv. Man ist nicht länger hermetisch und isoliert und kann aktiv, informiert und endlich Teil des Ganzen sein. Im Netz deuten Catcontent auf tumblr und Memes auf Youtube als unterhaltsame Nebenwirkungen eines an: Wir leben im Informationszeitalter. Andere Disziplinen nennen es Anthropozän oder Metamoderne. Letztlich sind wir nicht länger den Dschungel Camps und Quizshows ausgeliefert, den Massenmedien oder der Berichterstattung der Lokalrubrik der einzigen Tageszeitung. Endlich scheint lineares Fernsehen überwunden, sind Freunde aus aller Welt mit einem und man selbst mit der Welt verbunden. In Echtzeit. Hoffnungsvoll schaut nicht nur die Generation Internet in eine Zukunft, in der Chauvinismus überwunden scheint, soziale Barrieren abgebaut sind und der Welt ein Stück mehr humanistisches Denken gelingt.
Doch im Zeitzer Alltag wird die politische Bühne wieder Leidkultur. Bildungsresistente Nostalgiker verleumden die Errungenschaften der Nachkriegszeit. Demagogie wird erneut methodisch und Hetze rhetorisch. Sie erzählen vom Sozialdarwinismus und lenken den Blick der Verklärten auf die Vorurteile, um Ängste zu schüren. Kurzum: Hier wird im Warteraum der Zukunft gestorben. Denn die Probleme des Menschen hören nicht an einer Landes- oder Sprachgrenze auf. Der Klimawandel ist kein deutsches Problem – Finanzkrise, Umweltkrise, Terror, Flucht, Krieg, Armut, Tod und Hunger sind globale Probleme und betreffen uns alle. Wie kann also ein lösungsorientierter Konsens ohne Multikulturalismus auskommen? Die AfD hat Darwin wohl falsch verstanden. Es heißt nicht, dass der Stärkste überlebt, sondern derjenige, der sich am besten anpassen kann. Und das ist derjenige der sich am meisten anpassen muss. Am Ende könnte die Frage stehen, ob auch eine dauerhaft erfolgreiche Anpassung und Integration der AfD in die moderne Gesellschaft überhaupt möglich ist. Wenn nicht, sollte man hier ggf. über Abschiebung auf die kulturelle Sondermüllhalde nachdenken.
Wenn sich Asylsuchende, wie gefordert gut integrieren sollen, ist die Mithilfe bzw. Hilfsarbeit in öffentlichen Einrichtungen nur von Vorteil. Ständig hört man die Aufregung über mangelnde Gelder für Schule und Kita, den desolaten Zustand der Gebäude, die personelle Unterbesetzung, Fachkräftemangel und die wenigen Aushilfen. Aber nicht falsch verstehen! Das Integrationsbestreben im Burgenlandkreis betrifft keine Tätigkeit von Geflüchteten im pädagogischen und erzieherischen Programm einer Kita oder einer Schule, erklärt Landrat Götz Ulrich. Der Beruf als Erzieher ist in Deutschland streng reglementiert. Selbst wenn ein Geflüchteter ein entsprechendes Abschlusszeugnis über ein erfolgreich abgeschlossenes Studium als Erzieher hat, sichert ihm das noch lange keine Möglichkeit zu, hier auch tätig werden zu dürfen. Selbst die Anerkennung der Zeugnisse dauert in der Bonner Zentrale mitunter bis zu einem Jahr und die Anmeldung dafür unterliegt strengen Voraussetzungen. In den Kitas und Schulen im BLK geht es lediglich um die Tätigkeit als Helfer für beispielsweise Hausmeisterdienste. Für 80 Cent Stundenlohn! Nicht nur dafür ist sich jeder Deutsche heute viel zu schade. Es dürfen nicht die Voraussetzungen sondern die Bedingungen für eine solche Arbeit im Dialog der Öffentlichkeit stehen. Aber die AfD fordert sogar eine „Minuszuwanderung“ von 200000 Menschen im Jahr. Das würde der hiesigen demografischen Entwicklung Schallgeschwindigkeit verleihen und vor allem den ländlichen Raum noch mehr entvölkern. Die Möglichkeit der Integration neuer Menschen gibt der Region wieder eine Chance, erhöht die Attraktivität durch neue Angebote und macht sie anschlussfähig.
Stattdessen wird als Ausdruck eines Schildbürgertums demonstriert und die Vergangenheit stilisiert, für ein vermeintliches Rückbesinnen auf die guten alten Zeiten. Wir alle erinnern uns: Früher war alles besser.
Keine Scham für Diffamierung
Der Soziologe Sighard Neckel glaubt, dass es eine Art von „Sozialscham“ gibt, die verantwortlich dafür ist, dass viele Menschen in die Arme der Rechtspopulisten getrieben werden. Das sind seiner Ansicht nach „Abgehängte“, die durch den Nationalismus ihre Scham in Stolz umwandeln und sich gleichzeitig am Establishment rächen wollen. Nämlich an denen, die sie in die beschämende Lage gebracht haben. Lasst euch nicht abhängen, entlarvt die rhetorischen Tricks der AfD und Neurechten! Sie sind postfaktisch, irrational und damit destruktiv. Bitte verstopft nicht das Tor zur Zukunft, bleibt erreichbar für Gründe und Argumente. Chancengleichheit ist Grundgesetz, Rassismus eine Straftat!
Auch Rassisten haben eine „Einstellung“, aber eine Haltung kann uns davor bewahren. Und darum gilt: Haltung zeigen! Das ist ein feiner aber entscheidender Unterschied. Provinz kann überall sein, Provinzialismus nur dort wo man ihn kultiviert.
Infoversammlung zu geplanten Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen
Keine Lust auf Lügenfrust!
Dienstag 11.04. 16.30 Uhr
Rossmarkt in Zeitz