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Offen, nachdenklich, streitbar bis heiter

Offen, nachdenklich, streitbar bis heiter

Gesprächsabend mit Zeit(z)zeugen im Stadtlabor

Denken wir an Strukturwandel hören wir oft große Worte. Sprechen wir doch mal über Struktuwandel anders, nicht von den großen Ideen, nicht von Meilensteinen der Transformation, beschreiben wir einmal nicht Zettel mit Herausforderungen und hehren Zielen – sprechen wir einfach über persönliche Erfahrungen, über Erlebtes und zu Erlebendes. Das war die Idee der Macher des Stadtlabors um WeCreate, Zeit(z)zeugen hierher einzuladen und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Zwanzig Menschen tauschten sich gestern im Zeitzer Stadtlabor darüber aus wie das war, damals in den wilden Strukturbrüchen der Neunziger und wie sie das heute erleben, da alle Welt von Strukturwandel spricht. Ein Experiment bei dem nicht vorauszusehen war, das daraus ein so offenes, nachdenkliches, streitbares und bisweilen heiteres Gespräch werden würde.
Fünf Menschen, ihre Geschichten, ein Moderator und ein interessiertes Publikum – ein belebender Abend. Auch deshalb belebend, weil neben den Dialogen zwischen den geladenen Zeit(z)zeugen am Ende auch im Publikum darüber diskutiert wurde, was sie meinen, wo ihre Stadt steht, was ihr gut tun würde und was nicht. Eine durchaus widersprüchliche doch sachliche Debatte über das Hier und Heute, wie sie öfter zu wünschen wäre. Mitgeholfen hatten dabei die kleinen Episoden und die Offenheit, mit der die Zeit(z)zeugen zuvor über ihre Erfahrungen sprachen. Auch über ihre Betroffenheit.

Betroffenheit, wie die aus sehr aktuellem Anlass bei Barbara Walter. Die Hebamme, einst aus Thüringen nach Zeitz kommend, tat sich anfangs schwer mit der Zeitzer Mentalität. Doch im Jahr 2019 hatte sie sich von der ganzen Stadt umarmt gefühlt. Damals hatte sie erlebt, wie Tausende erfolgreich für ihre Klinik kämpften. Ein Mut und eine Entschlossenheit, die sie als sehr wärmend empfand. Doch an diesem Abend spürten alle ihre Betroffenheit da sie tags zuvor die Kündigung erhielt. Denn, anders als damals, wurde am Vortag das Aus für die Pädiatrie und Geburtshilfe am Zeitzer Klinikum verkündet. Das sei schlimm für Muttis, die Kinder und ein wichtiger Grund weniger, sich in der Stadt anzusiedeln, schätzt Barbara Walter ein. Nickendes Einverständnis rundum.

Lebenswege, Ereignisse und Aussichten

Strukturwandelprozesse beeinflussen manche Lebenswege. Sie habe das damals nach der Wende nicht als besonderen Umbruch empfunden, hatte eben ihr Studium begonnen. Doch in der Zeit danach stand für Annette Eschner die völlige Neuorientierung an. Das Gelernte half ihr zwar später im Leben, im Beruflichen kam sie damit zunächst aber nicht voran. Aus der Zeit mitgenommen habe sie, was auch vom persönlichen Willen des Einzelnen abhängen kann. Sie verstehe aus dieser Perspektive nicht, dass viele heute darauf warten, andere würde ihre Probleme lösen. Sie habe in schwierigen Zeiten in die eigene Bildung investiert, andere hätten sich lieber einen Plasmabildschirm gekauft.

Was in den Neunzigern in und um Zeitz herum an Arbeitsplätzen verloren ging, warum und wie das passierte, das war offensichtlich so bei einigen der interessierten Gäste nicht mehr oder noch nicht präsent. Innerhalb von sechs Jahren gingen nahezu 18.000 Industriearbeitsplätze verloren. Ein Verlust, der bis heute nachwirkt. Rudolf Stöver war damals nahe dran, wie auch Reiner Eckel. Die beiden Zeitzer, heute längst Ruheständler, haben die Stillegung des Hydrierwerkes miterlebt und den Umbau danach – Stöver als Chef der Standortentwicklung, Eckel als Betriebsrat. Was damals für viele unverständlich war, habe sich als richtig herausgestellt. Nämlich statt vergeblichen Wiederstand zu organisieren, die Kraft in eine Neuentwicklung zu stecken. Selbst die war nicht selbstverständlich und musste erkämpft werden.

Damals wie heute würden in solchen Umbruchphasen Mitbestimmung und starke Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen, ist das Credo von Matthias Lindig. Der Betriebsratschef der MIBRAG macht sich beim Blick in die Zukunft genau darum Gedanken. Denn überall dort, wo es gut vernetzte Arbeitnehmervertretungen gab, sei man gut durch Krisen gekommen. Gerade im Bergbau habe sich in Transformationsprozessen die noch bestehende Montanmitbestimmung für beide ausgezahlt, für Unternehmen und Beschäftigte. Das werde künftig vermutlich anders, schwieriger werden. Das durfte als Appell verstanden werden, die Bedeutung von Mitbestimmung und Beteiligung nicht zu unterschätzen.

Versuch eines Fazit

Es darf optimistisch stimmen, wenn sich jenseits der großen bedeutungsvollen Ereignisse, Menschen aus der Stadtgesellschaft aus freien Stücken zusammensetzen, über ihr Hier und Heute sprechen und dabei ihre Stadt im Blick haben. Es darf als gut empfunden werden, dass sich mit Martin Stein und Rüdiger Erben auch der Leiter des Projektbüros Stadt der Zukunft sowie ein Mitglied des Landtages am Gespräch beteiligten, sich – übrigens ebenfalls aus freien Stücken – für die Stimmung in der Stadtgesellschaft interessieren. Es darf sich gefreut werden, wenn mehrere Teilnehmer im Anschluss befinden, ihr Kommen habe sich für sie gelohnt. „Zeit(z)zeugen im Gespräch“, womöglich bis demnächst?

Dank an REVIERWENDE Dank an WeCreate

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About The Author

REINER ECKEL Jahrgang 1953, wohnt in Zeitz. Der Web 2.0-Enthusiast ist in Sachen Web, Grafik und Layout als Autodidakt unterwegs. Betreibt zeitzonline.de seit 23. Februar 2011.

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