DIE ROTE HERZOGIN
Über ein Buch, drei Frauen, eine Posaune,
und warum Autoren keine Erfinder sind.
Ein Abendbericht.
Text, Fotos: Reiner Eckel
Fotos: Reiner Eckel
„Ein Tropfen fällt auf einen Stein, aber
eine Million Tropfen sind ein Wasserfall“
Diese Zeilen von Swetlana Lavochkina schließen den Leseabend mit stillen Momenten ab. Derzeit werden Zeilen von Persönlichkeiten neben den Nationalfarben der Ukraine auf Europas größten Wasserfall, dem Rheinfall projeziert. Lavochkina ist Ukrainerin, kam vor zwanzig Jahren nach Deutschland und stellt ihren Roman „DIE ROTE HERZOGIN“ vor. Sie lebt in Leipzig als Lehrerin, Autorin und Übersetzerin. Ihre Schreibsprache ist englisch. Die Übersetzerin des Romans, Diana Feuerbach, hat sie zur Lesung mitgebracht. Gekonnt sprechen sie Dialoge aus dem Buch, mit gelegentlichen kleinen Spitzen. „Du hast mich geschimpft, ja, geschimpft hast du mich“, Lavochkina in Richtung Feuerbach, die im Buch jene Figuren zum Umarmen vermisste. Zwei Frauen, die sich gut kennen, sich mögen.
Als dritte Frau im Bunde begeistert Antonia Hausmann mit ihrer Posaune. Und ihrer Stimme. Mehrfach hintereinander entlockt sie dem Blech kleine wohlklingende Versatzstücke, die sie jeweils aufnimmt, um sie alsdann in scheinbarer Leichtigkeit mit improvisierten Bögen zu überspannen. Das gefällt.
So ist das mit den Tönen. Und wie kommen Sie zu Ihren Figuren, Swetlana Lavochkina?
„Als Autorin erfinde ich keine Figuren…
…eine Figur erzählt mir ihre Geschichte, was ich aufschreiben soll“, sagte Svetlana Lavochkina kürzlich in einem Interview. Aber wie sie diese Geschichten aufschreibt! Wortgewaltig, sinnlich, voller teils tiefschwarzem Humor. Diese hier, aus der sie mit Diana Feurbach heute liest und erzählt, fand sie im Tagebuch eines Staudammarbeitern in der Ukraine. Ein Enkel stellte es ins Netz. So kam die Figur zu Svetlana. Und die Geschichte, an der sie „neun Monate lang brütete“ wie die Autorin im Vorwort schreibt. Und weiter „Als ich im Bett der Leipziger Uniklinik den letzten Satz des Manuskriptes fertig schrieb, war gerade meine Fruchtblase geplatzt.“ Sinnlich und feiner Humor eben.
Die Geschichte lässt in ihren Figuren den irrwitzigen Bau des Dnepr-Staudamms am Ende der 1920ger Jahre aufleben. Ein Prestigebau Stalins, der den staubigen Provinzort Zaporoschje zu soetwas wie dem Wahrzeichen sowjetischer Industrielisierungsmacht und Metropole auftakeln will. Was das Buch sehr heutig macht ist der Größenwahn Einzelner und was in Zeiten solcher Herrscher deren Menschenverachtung mit eben diesen macht, den Menschen. Im Tagebuch des Dammbauers entdeckte Lavochkina, was sie schon wusste – ein anderes Leben, eine andere Welt, Menschenkinder in einem Lebensraum jenseits dessen, was offizielle Meinung ist. Das ist sehr heutig und von Svetlana Lavochkina mit einer bedrückend fazinierenden Sprachgewalt beschrieben.
Das Buch ist die Vorgeschichte zu ihrem Roman „Puschkins Erben“, für den sie 2013 den Pariser Literaturpreis erhielt. Aus dem Englischen übersetzt wurde auch dieses von Diana Feuerbach.
Erschienen als deutsche Erstausgabe
bei Voland & Quist 2022
128 Seiten
ISBN 978-3-68391-323-6
Antonia Hausmann, Posaune
Solidaritätsaktion des Künstlers und Kulturvermittlers Beat Toniolo am Rheinfall.
In der Lesung witzeln die beiden, Autorin und Übersetzerin, wie es dazu kam, dass „DIE ROTE HERZOGIN“ doch ein einzelnes Buch wurde. Wo es doch eigentlich eine zusammengehörige Geschichte sei. So „matrjoschkahaft zusammengesteckt“ wollte denn Swetlana Lavochkina ihr Werk dann doch nicht sehen. Zu verschieden die Stimmung, zu schwarz der Humor, „zu eigensinnig und zu brutal“ wie sie es im Vorwort beschreibt.
Ein lesenswertes Buch, unverblümt in bitterbös-satirischer Manier und zauberhaften Bildern. Im Russland damals wäre es konterrevolutionär. Im Russland heute staatsfeindlich.