„Wendekinder“ Fotografien von Philipp Baumgarten
Gerade stelle ich mir vor, der große Balkensaal mit den Fotografien von Philipp Baumgarten würde erfüllt von der Musik Rahel Hutters (Bild rechts). Die Berlinerin hatte die Ausstellungseröffnung gestern begleitet und dem Blüthnerflügel und ihrem Synthesizer Klanggebilde entlockt, die wie ein roter Teppich zu dem einluden, was bei einem Ausstellungsbesuch zu erleben ist: ein melancholisch bis heiterer Spaziergang durch die Zeiten. Jedenfalls für den, der sich unbefangen darauf einlässt.
Die der Ausstellung ihren Namen gaben findest du in der Ausstellung nicht – Wendekinder. Zumindest nicht direkt. Indes, ihre Spuren findest du schon in den Fotos von Philipp Baumgarten, die von heute an (bis 2. März 2025) im Museum Schloss Moritzburg zu sehen sind. Ob nun ausgerechnet die Slips auf der Wäscheleine die von Wendekindern sind, die der Ausstellung ihren Namen gaben, steht eher nicht zu vermuten.
Die nicht abgeschlossene Transformation und die Suche seiner Generation nach der eigenen Identität, das sind die Themen, die Baumgarten beschäftigen. Er beschreibt es als „einen Prozess des sich immer wieder neu Verhalten-müssens zur eigenen Geschichte und Identität“ und will dabei „das gleichzeitig Angezogen- und Abgestoßen-werden von der eigenen Herkunft spürbar“ machen. Dabei nimmt für Baumgarten auch Ost und West Raum ein. Eine „Dichotomie“ sieht er hier, und die Spannungen in der Überwindung dieser Zweiteilung. Er hat selbst in beiden „Welten“ gelebt, deren Zweiteilung für den Einen tatsächlich eine ist, für den anderen nur eine gefühlte. Ist die Ausstellung deshalb nostalgisch oder gar ostalgisch? Nein.
Mag ein Nostalgiker hier und da seine Bestätigung finden, die Fotos erzählen mehr und fordern heraus zur Auseinandersetzung mit sich, seiner Zeit und den Klischees, die uns umgeben. Es wird der Herkunft und dem eigenen Weltbild des Betrachters überlassen bleiben, ob ihn die Fotos melancholisch stimmen, er sich bestätigt fühlt, sie bisweilen Heiterkeit auslösen oder nachdenklich machen.
Einen mit der Kamera ironisch bildlich kommentierten eingefrorenen Moment des Alltags wirst du eine Zeit später vielleicht selbst ganz anders interpretieren. Das ist bei Philipp Baumgarten nicht anders. Einst sah er für sich hier keine Chancen und verließ er den Osten, wie Kulturmanager Lion Hartmann in seiner Einführung erinnerte, um später eben wegen der Chancen und Freiräume wiederzukommen. Die Freiräume nutzt Baumgarten, für sich und für die Gesellschaft. Für sein kulturelles Engagement in der Region erhielt er im Vorjahr den Georg-Christoph-Biller-Preis des Burgenlandkreises (wir berichteten).
Ein Beleg dafür, dass Baumgartens Bilder weder nostalgisch noch ostalgisch sind, die Ausstellung wird begleitet von dem Bild-Textband „Ostflimmern“ – Wir Wende-Millennials“, es ist im Museum erhältlich:
Philipp Baumgarten/Annekathrin Kohout (Hg.)
Ostflimmern
Wir Wende-Millennials
Bild-Text-Band
ca. 160 S., geb., 160 × 240 mm, Farbabb.
ISBN 978-3-96311-944-6
Blick in die Eröffnung
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