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Der Geschmack von Dünnbier

Der Geschmack von Dünnbier

Ein Blick in die Projektlisten zur Gestaltung des Strukturwandels 

Heute interviewte ein mdr-Team in Zeitz die Menschen. Was sie denn vom bevorstehenden Strukturwandel erwarten wollte mdr wissen. Ich habe darüber nachgedacht und meine Gedanken aufgeschrieben. 

2038 also soll Schluss sein mit der Kohleverstromung, so die Empfehlung der sog. Kohlekommission. Manchem mag das lang hin sein, es ist nicht lang hin. Wer glaubt, bis dahin wäre die Beschäftigung im Revier gesichert, der irrt. Zur Erinnerung: am 30.06.1996 war Schluss im Hydrierwerk, 630 Beschäftigte verließen die Werktore. Allerdings hatten bis dahin mehr als 3.000 längst ihren Job verloren. Die Folgen sehen und spüren wir bis heute – am Leerstand, der nicht ab- sondern zu nimmt, an der überdurchschnittlichen Überalterung, an der anhaltend negativen Einwohnerentwicklung, an 32% Wählerstimmen für einen unbekannten AfD-Kandidaten. Da kommt etwas auf uns zu.

Nun ist Bestandteil der Empfehlungen der Kohlekommission eine lange Liste an „Projektideen zur Gestaltung des Strukturwandels…“, auch für das Mitteldeutsche Revier. Die haben wir uns einmal angesehen.
Machen Sie sich selbst ein Bild – Sie finden diese Projekte von Seite 247 bis 304, wir haben für Sie Lesezeichen angelegt (unter diesem Link).
So viel vorab, es ist an der lokalen Zuordnung und Häufung, der Projektkonkretisierung- und Intensität gut ablesbar, wer mit welchen klar formulierten Interessen mit welchem Nachdruck versucht hat, Einfluss zu nehmen.

Luftschlösser und Fassaden?

Die sogenannte Kohlekommission heißt richtig „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Aus Sicht eines Zeitzers findet der sich im Papier nur unter dem Wort Strukturwandel wieder. Wachstum und Beschäftigung heraus zu lesen ist kaum möglich. Zumal für das nahe Umland unseres Zeitzers. Eindeutige Schwerpunktsetzungen liegen in den Ballungsgebieten, Unistandorten und industriellen Zentren, also Leipzig, Halle, Merseburg. Wie nahe die an der Tagebaukante gebaut sind, darüber wurde viel nicht nachgedacht.

Projekte für Orte nahe der Tagebaukante, wie etwa Zeitz, sind zwar benannt und teilweise näher beschreiben, doch werden diese Orte nach echten Projekten für Wachstum und Beschäftigung lange suchen. Wie beschäftigungsintensiv kann eine viel diskutierte Stiftung Zukunftsinstitut Zeitz sein? Oder, anders gefragt, wann könnten beschäftigungswirksame Effekte aus der Forschung dieses Zukunftsinstitutes eintreten? In 20, 25 Jahren? Nach dessen Bau und Inbetriebnahme!

Okay, die Rahnestraße ist ein Projekt, Kloster Posa ist mit drin, Projekte zur Unterstützung einer sich entwickelnden Kreativwirtschaft sind knapp beschrieben, allesamt wichtig. Okay, eine ganze Reihe Infrastrukturmaßnahmen, kleinere und größere, S-Bahn-Netze und andere Verkehrsanbindungen, allesamt wichtig. Genau betrachtet lösen sie zunächst nicht mehr, als das auf, was durch Investitionsstau an Problemen entstanden ist, das es so in einem modernen Industrieland nicht geben dürfte.
Lösen sie aber die bevorstehenden Lücken an Beschäftigung und den Ausfall an Wertschöpfung? Ich fürchte nein.
Was in den Kommissionsempfehlungen als reich- und nachhaltiges Rezept zur Generierung von Wachstum und Beschäftigung präsentiert wurde, beim Lesen hat es den Geschmack von Dünnbier. Ich würde mich freuen, wenn ich mich irrte. Bis April soll Zeit sein für Nachbesserungen für die Vorlage von Inhalten für gesetzliche Regelungen. Viel Zeit ist das nicht.

Hauen und Stechen

Hinzu kommen diese unsäglichen Durchstechereien kaum sind das Paket mit den empfohlenen 40 Mrd. Euro Steuergelder und die Projektlisten öffentlich. Das vertraute Hauen und Stechen, wenn es um Geld geht. Die Ressorts der Ministerien zoffeln um Zuständigkeiten für die Fördertöpfe, Regionen und Städte debattieren über die angedachten Projekte bei den jeweils anderen. Kaum wird Lieschen Müller auf der Straße nach dem besten Bauplatz für ein Zukunftsinstitut Zeitz befragt, wird dessen Sinnhaftigkeit grundsätzlich angezweifelt, weil außeruniversitäre Einrichtungen die Hochschulnähe bräuchten…und und und.

Es zeigen sich hier zwei grundsätzliche Probleme, vor denen viele vergeblich gewarnt hatten. Erstens, eine Folgenabwägung von Strukturwandel, die Lösungsfindung und Entwicklung von Maßnahmen und Projekte vorzunehmen ohne die Fachkompetenz derer, die vor Ort mittendrin sind. Zweitens die im Verhältnis zu den Zeiträumen und tiefgreifenden Folgen des Braunkohlenausstiegs überschaubare Zeit, die man sich für die Lösungsempfehlungen nimmt.

Und nun?

Um Zeitz kann einem schon Bange werden. Wer wach bei Verstand ist, gute Augen und ein intaktes Gehör hat, der wird nicht abstreiten wollen, dass wir noch mitten in der Bewältigung der Struktureinbrüche aus den Neunzigern sind. In kaum einer anderen Region ist Zuwachs an Beschäftigung und Einwohnern so nötig wie in dieser. Gehen wir aus dem bevorstehenden Strukturwandel durch den Braunkohleausstieg nicht gestärkt hervor, dann droht die einst stolze Industriestadt zum unbedeutenden Dorf zu verkommen. Weit weg sind wir davon ohnehin nicht. Denen, die Verantwortung tragen muss das bewusst sein. Und wenn nicht, muss es bewusst gemacht werden.

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About The Author

REINER ECKEL Jahrgang 1953, wohnt in Zeitz. Der Web 2.0-Enthusiast ist in Sachen Web, Grafik und Layout als Autodidakt unterwegs. Betreibt zeitzonline.de seit 23. Februar 2011.

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