29.07.16/20:00/SehSong Bockwitz
Wieder ein Highlight im SehSong. Marcel Brell, der Sänger und Songschreiber mit dem Feeling, aus dem Alltag die kleinen wichtigen Geschichten zu fischen und aufzuschreiben. Von der Bühne kommen diese Songs dann so ins Publikum, das die Zuhörer meinen, es sind ihre Geschichten.
Brell singt an gegen die Macht der Gewohnheit und lähmenden Stillstand. Marcel Brell „nur ein Mensch und seine vertonten Gefühle; voller Wahrheiten, die manchmal weh tun – und die gerade deshalb so wichtig sind.“
Die aufrichtigen Texte Brells und eine angemessen eingesetzte Instrumentierung lassen seine Konzerte zu intimen Räumen werden. Gerade so, als würdest du Problem beladen nachtens bei einem Freund geklingelt haben und bei Rotwein und Kerzenlicht bis in den Morgen reden über Gott und Welt.
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Das Leben ist voll von Entscheidungen. Von großen und kleinen. Von schweren und leichten. Natürlich: das Wissen darum ist genauso wenig neu wie die Erkenntnis, dass unser aller Leben nur auf der Summe eben dieser Entscheidungen beruht; all den Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen. Doch gerade die künstlerische Auseinandersetzung mit vermeintlichen Banalitäten wie diesen fährt uns ein, geht uns an, trifft uns im Kern.
“Ich hab Augen, um die Schönheit nicht zu sehen.
Ich hab Ohren, um die Welt nicht zu verstehen.
Meine Hände wollen so gerne etwas spüren,
doch mein Herz kann ich nicht selbst berühren.“
(Nur den Augenblick)
Aufgewachsen ist Marcel Brell in einer beschaulichen Kleinstadt am Niederrhein – als Sohn eines Opernsängers und einer Tänzerin. Musik spielte immer schon eine wichtige Rolle in seiner Familie. Klavierunterricht war Pflichtprogramm für Marcel und seine drei Geschwister. Gerade mal fünf Jahre alt war Marcel, als er damit begann. Als 13-jähriger fing er zudem an, sich autodidaktisch das Gitarre spielen beizubringen und erste eigene Stücke zu komponieren. „Wie es sich für einen richtigen Songschreiber gehört, habe ich zuerst vor allem Friedens- und Umweltlieder geschrieben“, erinnert sich Marcel und fügt lachend hinzu: „Ein Stück hieß damals tatsächlich ‚Ich will Frieden’ – kein Witz!“ Aber hey, Marcel war damals 13 Jahre alt. Das ist 18 Jahre her. Doch die Musik hielt Marcel gefangen. Nach knapp bestandenem Abitur ging er nach Münster, um dort Musik zu studieren, Schwerpunkt Arrangement und Produktion. Bereits damals absolvierte er erste Auftritte, versuchte es auf englisch mit Halbplayback und Chartorientierter Popmusik, doch der Erfolg blieb aus. „Ich habe damals versucht, durch selbstgeschneiderte Kostüme, eine Lichtanlage und eine Nebelmaschine Aufmerksamkeit zu erregen. Hat aber nicht geklappt. Ich war echt schlecht damals“, gesteht sich der 31-jährige heute ein. „Ich habe die Veranstalter durch meinen ansteckenden Enthusiasmus immer dazu bekommen, mich spielen zu lassen.“ Marcel schmunzelt. „Aber immer nur einmal.“
„Es kommt kein Magic Moment,
keine nächtliche Vision,
was du brauchst zum glücklich sein,
das hast du schon.“
(Du bist)
Mittlerweile ist das anders. Alleine 2013 spielte Marcel über 70 Konzerte, 2014 ist er sowohl solo als auch mit Band auf Tour und spielt neben eigenen Konzerten auch im Vorprogramm von der Alin Coen Band, Elif, Suzanne Vega, Sharon Corr und Dota Kehr. Denn mit dem Abbruch seines Studiums im achten Semester, seinem Umzug nach Berlin und einer langen Phase des Ausprobierens auf offenen Bühnen hat er etwas gefunden, das ihm voll und ganz entspricht. Und zwar nicht nur musikalisch, sondern auch als Mensch. „Ich habe schon immer alles ernst gemeint, was ich damals auf der Bühne gemacht habe, aber das war nie so richtig ich. Und das Publikum hat das gespürt.“ Dabei war es stets Marcels Wunsch, sein Publikum emotional zu erreichen: „Mir ging es irgendwann nicht mehr um die Form, sondern um den Inhalt“, so Marcel, der seine Texte mittlerweile auf Deutsch verfasst. „Mir war es nicht mehr wichtig, ob ich eine Nebelmaschine auf der Bühne habe, sondern was für Geschichten ich erzähle.“ Und die Geschichten, die Marcel heute erzählt, sind nicht nur seine Geschichten. Es sind unsere.
„Hab immer Angst, dass ich irgendwas versäum’,
weil ich statt zu leben immer träum’.“
(Nur den Augenblick)
So ist sein Debütalbum gespickt von vermeintlich kleinen Begebenheiten, die im Zusammenspiel mit der pompös reduzierten Instrumentierung und den aufrichtigen Texten eine Intimität entstehen lassen, als säße man bei schummrigem Licht mit seinem besten Freund in der Küche und lege unumwunden sein pochendes Herz auf den Tisch. Kein unnötiges Aufbauschen eines geltungsbedürftigen Egos, keine falsche Fassade. Nur ein Mensch und seine vertonten Gefühle; voller Wahrheiten, die manchmal weh tun – und die gerade deshalb so wichtig sind. Man nehme nur mal den Song „Der Schlüssel steckt“, Marcels Auseinandersetzung mit dem Stillstand, der Angst vor Veränderung und der Unfähigkeit, gegen die lähmende Macht der Gewohnheit anzukämpfen. Am Beispiel eines ernüchternden Gesprächs unter Freunden setzt er die lyrische Lupe an und verdeutlicht die großen Probleme im zwischenmenschlichen Miteinander anhand kleiner Details. „Ich kenne Menschen, die in Beziehungen sind, die sie eigentlich nicht wollen – das war ich auch schon. Daher ist das ein Thema, das mir extrem wichtig ist.“
Oder „Alles gut (solang man tut)“, die treibende Hymne an den Pragmatismus. „Es ist gar nicht so wichtig, was du machst, sondern dass du etwas machst, anstatt bloß gedankenschwanger auf dem Sofa zu hocken“, findet Marcel. Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Grübeln zerstört mehr als Fehler zu machen.“
Das zentrale Lied der Platte ist aber sicherlich das wunderschöne „Nur den Augenblick“, in dem Marcel die Wertschätzung für den Moment besingt. Statt krampfhaft an der Vergangenheit festzuhalten und ehrgeizig das Morgen zu planen, bleibt viel zu häufig das einzige auf der Strecke, was permanent greifbar ist: das Jetzt. Außerdem hat Marcel gemeinsam mit der Hamburger Sängerin Alin Coen ein Lied für sein Debut aufgenommen. „Wo die Liebe hinfällt“ ist der Rat eines Freundes, Frieden mit der Vergangenheit zu schließen.
So ist es Marcel Brell mit seinem Debut gelungen, aus den Erfahrungen seiner Vergangenheit Musik fürs Hier und Jetzt entstehen zu lassen, die auch morgen nichts von ihrer Relevanz verliert. Stücke übers Entscheiden und übers Loslassen; über Reduktion, die auf befreiende Art und Weise Platz für Neues macht. Lieder, die nachdenklich stimmen und gleichzeitig fesselnd vermitteln, dass man sich frei machen muss. Oder wie Marcel es selbst so schön formuliert:
“Ich lasse alles los, was ich nicht halten kann,
und nur, was mir gehört, kommt wieder bei mir an.“
(Nur den Augenblick)