Verkehrte Welt im Zeitzer Stadtrat
Im Stadtrat Zeitz will eine Fraktion Stunden vor Beschluss die Tagesordnung kippen. Dabei geht es um nichts Geringeres als ein Corporate Design für die Stadt Zeitz.
Fakten, Hintergründe und Mutmaßungen zum Wie und Warum.
„Es stimmt eben nicht, dass Identifikation nur durch direkte Beteiligung an der Entscheidung für ein Erscheinungsbild entstehen kann. Das stimmt nicht für Kommunen, das stimmt nicht für Unternehmen. Viel entscheidender ist das Erscheinungsbild selbst, die Kommunikation und eine glaubhafte gemeinsame Haltung der Entscheider! Dafür gibt es unzählige gute Beispiele.“
Ob Stadtrat Sebastian Nicolai und seine Ratsfraktion ALL/FDP/FWT über ein Stöckchen gesprungen sind, das man ihnen hin hielt oder ob er oder sie das Stöckchen selbst sind, das blieb offen an diesem Abend im Zeitzer Stadtrat. Was offenkundig ins Auge fiel: hier wird auf eine unfeine Art Politik betrieben – zulasten der Stadt und zulasten des Stadtrates – von hinten durch die Brust ins Auge.
Wer wollte denn an Zufall glauben, wenn am Tag vor der Sitzung, in der das Corporate Design beschlossen wird ein Facebookpost auftaucht, der das Verfahren der Entwicklung eines Corporate Design für Zeitz als „Geheimniskrämerei“ verteufelt und Sebastian Nicolai am darauffolgenden Tag mit einem Änderungsantrag aufläuft mit dem Ziel, Beratung und Beschluss zum Corporate Design von der Tagesordnung zu nehmen? Die Beratungen des Corporate Design fanden im nichtöffentlichen Teil der Sitzungen statt und es sollte am 8.10. auch im Stadtrat abschließend so beraten und beschlossen werden. Beratungsfolge und das Verfahren sind seit Monaten bekannt (rechte Spalte).
Dazu sollte man zunächst wissen,
- Das Corporate Design hätte auch die Verwaltung allein, selbst ohne Beteiligung des Stadtrates festlegen können.
Sie hatte sich jedoch aus freien Stücken für die Beteiligung des Stadtrates als eine durch Wahlen legitimierte Vertretung der Bürgerschaft entschieden. - Die Grundlage zur Entwicklung des Corporate Design legten jene, die sich acht Monate lang in der Entwicklung des Leitbildes für Zeitz engagierten – eben die Zeitzer Öffentlichkeit. Das Beteiligungsverfahren sicherte jederzeit Mitwirkung und Transparenz bis zum Abschluss, den der Beschluss des Stadtrates am 12. Dezember 2019 bildete.
- Bestandteil des Leitbildbeschlusses ist der Maßnahmekatalog zur Umsetzung des Leitbildes. Der enthält im Schwerpunkt „Politik und Verwaltung“ den klaren Auftrag an die Verwaltung zur „Entwicklung eines Corporate Design für die Stadt Zeitz“ in 2019 bis 2020.
Damit waren alle Voraussetzungen gegeben, eine Vergabe nach beschränkter Ausschreibung vorzunehmen, die Entwicklung des Corporate Design voran zu treiben und geordnet notwendige Abstimmungsverfahren einzuleiten. Das alles kannten Sebastian Nicolai und seine Fraktion allerspätestens seit dem Ältestenrat im Februar diesen Jahres. Im übrigen auch die Öffentlichkeit einschließlich der Presse, denn Tagesordnungen der Stadtratsgremien sind auf verschiedenen Kanälen öffentlich zugänglich. Selbst die Möglichkeit, das beabsichtigte Verfahren direkt zu beeinflussen, waren für alle Stadträte gegeben, auch für Sebastian Nicolai und seine Fraktion.
Weshalb nun auf diese Weise, Stunden vor der Abstimmung das gesamte Verfahren in Frage gestellt wird, das blieb unbeantwortet. Unbeantwortet blieb auch, wie sie sich eine Bürgerbeteiligung denn überhaupt vorstellen und was genau sie sich davon versprechen. Ist bei den Präsentationen in den Ausschüssen nicht bemerkt, dass ein Corporate Design, jedenfalls dieses, viel mehr sein kann als nur ein Logo? Ist ihnen entgangen, dass es eben nur einen Dienstleister gibt und schwerlich vorstellbar ist, wie eine Entscheidung mit Beteiligung der Öffentlichkeit überhaupt erfolgen kann? Oder wollen sie gar etwas ganz anderes? Dann sollten sie es auch sagen!
Stattdessen wird in nachgerade bestürzender Weise, wissentlich oder durch Unwissen bedingt, Vertrauen gebrochen, werden Halbwahrheiten kolportiert und nicht belegte Argumente populistisch eingesetzt. Mindestens ein Stadtratsmitglied hat ja wohl Material und Informationen an das Aktionsbündnis durchgestochen und damit nicht nur seinen Eid verletzt sondern auch Vertrauen gebrochen. Die Zeit für eine lokale Presse, die ungeprüft Argumente und falsche Behauptungen aus den sozialen Medien übernimmt, will ich mir hier nicht nehmen. Auch nicht für selbsternannte Volksversteher dort.
Es stimmt eben nicht, dass Identifikation nur durch direkte Beteiligung an der Entscheidung für ein Erscheinungsbild entstehen kann. Das stimmt nicht für Kommunen, das stimmt nicht für Unternehmen. Viel entscheidender ist das Erscheinungsbild selbst, die Kommunikation und eine glaubhafte gemeinsame Haltung der Entscheider! Dafür gibt es unzählige gute Beispiele.
Es würde dieser gebeutelten Stadt und den Entscheidern in dieser Stadt gut tun, bekämen die Verwaltung der Stadt Zeitz und der Stadtrat ein Jahr nach der Leitbildentwicklung die Chance, gemeinsam ein Corporate Design zu präsentieren, hinter dem sie stehen.
Allerdings, mit dieser unbedachten Aktion der ALL/FDP/FWT und dem, was daraus wurde ist der Ruf der Stadt wie der des Stadtrates beschädigt und der Start mit einem Corporate Design, egal von welchem Logo in welcher Farbe mit welchen Merkmalen es getragen wird, schwer belastet.
Ein paar Fakten
Das von November 2018 bis Juni 2019 unter Bürgerbeteiligung entwickelte Leitbild wird am 12. Dezember 2019 vom Stadtrat beschlossen. Mit dem Maßnahmekatalog (Screenshot unten) bildet es die Grundlage zur Entwicklung des Corporate Design.
8. Februar: Ausreichung einer Umfrage „semantisches Differenzial“ zur Entwicklung des Corporate Design an StadträtInnen, Verwaltung, Netzwerkaprtner
27. – 30. April: Onlinebeteiligung (Stadtrat und Verwaltung) zur Faktenklärung, Ergebnisse des semantischen Differenzials zur Entwicklung des Corporate Design
7. September 2020: Präsentation und Beratung zwei Varianten Corporate Design im Ausschuss Bildung, Soziales, Kultur und Sport und Stadtrat
17. September 2020: Präsentation und Beratung zwei Varianten Corporate Design im Haupt- und Wirtschaftsausschuss
Beide Ausschüsse stimmten derselben Variante mit Modifizierungen mehrheitlich zu. Das bisherige Verfahren wurde nicht in Frage gestellt.