Ein Friedenskind und andere Geschichten aus Zeitz
Der MDR zeigt am 3. Oktober um 20:15 Uhr den Dokumentarfilm „EAST! Mein Jahr in Zeitz“. Gestern war im Capitol Zeitz eine gut besuchte Voraufführung mit anschließender Gesprächsrunde. Was erzählt der Film über die Elsterstadt? Wir haben zugesehen.
Maksym Melnyk hält ein Neugeborenes auf dem Arm. Als Stadtschreiber für ein Jahr nach Zeitz gekommen hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass er bei einer Entbindung live dabei sein und für Lida im Kreißsaal dolmetschen würde. Lida aus der Ukraine flüchtete mit ihrer Mutter vor dem Krieg nach Deutschland, nach Zeitz. Sie bekam ihr Kind zwar nicht in Zeitz, weil kurz zuvor hier die Entbindungsstation schloss. „Aber ich bekam es in Deutschland, im Frieden,“ erzählt die glückliche Mutter. Und Maksym hält das Neugeborene sichtlich gerührt im Arm. Ein Friedenskind.
Es ist eine der Geschichten, die der Film erzählt. Manche sind zum Schmunzeln skurill, andere berühren, manche machen betroffen. Gute Bilder stehen neben den Geschichten. Da sind Gabriele und Reiner, wie sie rauchend mit den Unterarmen auf Kissen im Fenster lehnend auf etwas warten, das in ihrer Straße passiert. Später werden wir sie wiedertreffen an einem auch für sie ungewohnten Ort. Maksym hat sie zur BiBothekennacht in die Alte Stadtbibliothek eingeladen. Ein Konzert besuchen und Kunst gucken, das haben die beiden schon lange nicht mehr erlebt.
Verlassene Industriegebäude und eine verfallene Kirche sind die Reviere von Leonie und Fabienne. Die Schülerinnen mögen die Abgeschiedenheit und Stille hier. „Schließt die Augen, was hört ihr?,“ bittet Maksym. Sie kommen nicht gleich drauf, was sie da hören in der verfallenen Kirche. Google muss helfen. Es ist eine Orgel. Eine solche werden sie später in einer „richtigen“ Kirche hören und über die 3.000 Pfeifen staunen, 300 hatte sie geschätzt. Und der Klang sei toll. Sie hierher mitzunehmen, war auch Maksyms Idee.
Der Stadtschreiber und Dokumentarfilmer Maksym Melnyk, mit diesem Film wird er zum Erzähler. Er hätte mit seiner Art viele Menschen in der Stadt zusammengebracht, bemerkt Tina Uhlemann in der Gesprächsrunde nach dem Film. Im Zeitzer Stadtlabor war ihre erste Begegnung. Skepsis erst: Filmen? Ach nee. Aus der Skepsis wurde schnell Neugier, dann Vertrauen. Etwas also, das beide brauchen, der Filmer und seine Protagonistinnen. „Sprich mit deiner Stadt,“ hatte ihm eine befreundete Psychologin geraten, als es noch fremdelte zwischen Zeitz und Maksym. „Sprich mit der Stadt, finde heraus, wer sie ist, was ist ist. Ist sie männlich oder weiblich …?“ Zeitz sei weiblich findet Uwe, Maksyms Vermieter für sein Jahr in Zeitz.
Nicht von allen Menschen, die er traf, nicht alle in einem Jahr notierten Geschichten können im Film erzählt werden, auch nicht hier im Beitrag der Film selbst. So viel sei aber noch gesagt nach der Aufführung und nachfolgender Gespräche. Sie werden am 3. Oktober 90 kurzweilige Minuten erleben, die Zeitz als eine sympatische Stadt mit interessanten Menschen zeigen ohne die Probleme zu verschweigen. Zweigeteilt scheinen die Menschen, stellt einer der Protagonisten fest. Die einen wollten, dass doch bitte alles so bliebe, wie es ist, die anderen machen sich auf, die Stadt zu verändern, die Probleme anzupacken. Das macht auch der Film deutlich. Da ist Petra, die mit ihrer Kunst etwas gegen die „toten Augen der Häuser“ (Maksym Melnyk) tut und mit etwas anderen Stadtrundgängen zu Entdeckungen einlädt. Wir begegnen Hans-Joachim als Geschichtsbewahrer der Industriekultur, wie Christines unerschütterlichem Optimismus und ihrem leckeren Zupfkuchen für Maksym. Wir erleben Line und Christian, die eine Hymne auf die Elsterstadt schrieben und Fundstücke in lebhafte Kunst verwaneln und treffen ukrainische Frauen, wie sie einen Kulturverein gründen und sich aktiv in der Stadtgesellschaft engagieren. Mit einem Schornsteinfeger steigen wir der Elsterstadt aufs Dach, wagen von dort den Blick auf die Stadt und ihre Zukunft, derweil, wer mag, auf Tour in einem himmelblauen Trabant in Erinnerungen schwelgen kann.
Es ist ein positiver Film, der nicht bewertet, nicht urteilt, der erzählt mitten aus dem Leben unserer Stadt. Und doch hat Maksym Melnyks Film eine Botschaft, jedenfalls für mich: lasst auch mal die Kissen im Fenster liegen, macht euch auf den Weg, dieser Stadt ein neues Gesicht zu geben. Es sind schon Menschen unterwegs, schließt euch an.
Noch ein paar Impressionen vom Abend
Übrigens
Am gleichen Tag läuft um 22:00 Uhr die Doku „EAST! – Mein Jahr in Lenzen“. Denn die Arbeiten sind eingebettet in „Der lange Dokumentarfilm im MDR“ und werden am Sendplatz MDR DOK zu sehen sein. Der MDR zum Projekt:
EAST! erzählt von zwei Orten in Deutschland, im Osten. So wahrhaftig und lebendig, wie das Leben dort ist. Eine Filmemacherin und ein Filmemacher ziehen für ein Jahr in eine ostdeutsche Stadt: Anne Münch geht mit Familie nach Lenzen in Brandenburg, Maksym Melnyk nach Zeitz in Sachsen-Anhalt. Wie lebt es sich dort? Zeitz, die einst florierende Industriestadt, ist vom Strukturbruch der 1990er Jahre bis heute geprägt. Lenzen, jahrhundertelang ein Ackerbürger-Städtchen, idyllisch, aber immer am Rand gelegen. Für EAST! beobachten sie, als filmische Stadtschreiberin und Stadtschreiber, das Leben vor Ort, erzählen von ihren Begegnungen und Eindrücken, von ihrem Ankommen, von Fremdheitsgefühlen und überraschenden Erkenntnissen.
„EAST“ ist eine neue, dokumentarische Programminitiative von MDR und rbb. „EAST“ bündelt künftig Filme und Podcasts von gesamtgesellschaftlicher Relevanz mit einer speziellen ostdeutschen Perspektive.