„Mein Jahr in Zeitz“ – Sein Jahr in Zeitz!
Jetzt habe ich den Film „EAST! Mein Jahr in Zeitz“ zum dritten Mal gesehen. Ich dachte, dahinterzukommen, ob ich etwas nicht kapiert habe oder was daran und darin so missverständlich ist, dass selbst die abwegigsten Argumentationslinien bemüht werden. Was der Film beschreibt liegt bereits im Titel „Mein Jahr in Zeitz“. Also wird der Filmemacher sein Jahr in Zeitz, wie er es erlebte beschreiben. Das mindestens sollte man begriffen haben, um überhaupt das Gesehene und Gesprochene einzuordnen. Wie schwierig das offenbar ist zeigt ein Leserbrief.
Eines indes habe ich aber inzwischen kapiert: es kommt auf den eigenen Blick an, auf die eigene Einstellung, darauf ob ich positiv offen bin oder doch lieber mit verschränkten Armen vor der Brust nichts an mich heran lasse, etwa:
Die Landsleute und das rechte Licht
Das schrieb heute (11.10.) ein gestandener Zeitzer, in einem Leserbrief: „Schön und gut, wenn ich meine Landsleute ins rechte Licht setze, aber es gibt auch Angehörige anderer Nationen, die sich für die Stadt und ihre Einwohner engagieren.“
Der Filmemacher Maksym Melnyk hat das nie bestritten, auch nicht im Film. Im Gegenteil, er zeigt doch genau sie: Deutsche, Dänen, Russen, Ukrainer. Menschen aus vier Nationen und wie sie „sich für die Stadt und ihre Einwohner engagieren“. Womit fremdeln nur diese und jene Zeitzer? Der Leserbriefabsender ist nicht der einzige, der auf die ukrainische Herkunft des in Berlin lebenden Filmemachers anspielt. Ich finde das ziemlich hässlich.
In die Annalen gekritzelt? „Setzen: 5“
„Setzen: 5“ hätte mein Deutschlehrer wohl gesagt, würde ich selbst das Einfachste im Film dermaßen fehlinterpretiert haben wie in diesem Leserbrief: “ … Im Film ist über die Tätigkeit als Stadtschreiber keine Sekunde gesprochen worden, es wäre interessant zu wissen, was der Akteur in die Annalen der Stadt gekritzelt hat.“ Schlicht falsch, klar wird im Film über den Stadtschreiber gesprochen und es wird auch die Tätigkeit deutlich. Einfach nochmal die ersten paar Minuten gucken. Dann kann man auch verstanden haben, dass es trotz Melnyks schelmischer Berufung auf seine „Vorgänger“ nicht um Einträge in die Annalen der Stadt geht. Schon garnicht würde Melnyk etwas „kritzeln“. Kritzeln ist bestenfalls das Vokabular schlecht gelaunter Leserbriefschreiber, weniger schlecht Gelaunte würden es „schreiben“ nennen. Und übrigens, wer den „filmischen Stadtschreiber“ (mdr, ARD) beauftragte, das ist im Abspann zu lesen.
Über Typisches, glotzen und Allgemeinwissen
Bleiben wir beim Vokabular. Besagter Leser schreibt: „Typisch sind auch auch Pärchen, die rauchend aus dem Fenster glotzen …“ „Glotzen“ schreibt er, nicht schauen, um dann festzustellen, das sei nicht typisch für Zeitz, ihm sei solches nicht aufgefallen. Typisch hat auch niemand behauptet und aufgefallen ist dem Leser nichteinmal die Botschaft, die damit verbunden ist. Denn Melnyk holt die beiden später im Film in ein Konzert und eine Ausstellung, eine Welt also in ihrer Stadt, die sie bis dahin nicht kannten. Die Botschaft, jedenfalls für mich: Leute, die ihr immer nur zuschaut und aus der Ferne kommentiert – lasst die Kissen in den Fenstern auch mal liegen, seht in eurer Stadt ist was los, junge Menschen kommen her, die „sich für die Stadt und ihre Einwohner engagieren“, macht mit!
„Ist es normal, dass ein junges Mädchen auf dem Handy nach einer Orgel (Wie heißt das Instrument?) sucht oder sollte das geringe Vorhandensein von Allgemeinwissen gezeigt werden?“ fragt der Autor des Leserbriefes. Jedenfalls fand die Jugendliche eine Lösung und nach Melnyks Einladung an die Orgel in der Kirche wird sie künftig nicht mehr nach dem Instrument googlen müssen. Der Leserbrief-Autor hat selbstverständlich noch niemals Google nach einem Begriff suchen lassen. Und überhaupt, eine Frage zurück an den Autor: ist es denn so, gibt es ein „geringes Vorhandensein von Allgemeinwissen“? Der Film zumindest trifft dazu keine Aussage, keine Wertung, kein Urteil.
„Vom Allgäu bis Berlin“
Dem Wunsch der Stadtväter, Zeitz interessant zu machen, sei mit dem Film nicht gedient worden, stellt der Autor fest. „Was sollte das?“ sei er „vom Allgäu bis Berlin“ gefragt worden. Dazu zwei Anmerkungen. „EAST! Mein Jahr in Zeitz“ schildert sein Jahr, Maksym Melnyks Jahr in Zeitz. Nicht mehr und nicht weniger. Was mit dem Wunsch der Stadtväter also zunächst nichts zu tun hat. Dass besagte Stadtväter, die im Film vorkamen, zum Beispiel auf die Wünsche von Jugendlichen ausweichend und seltsam schwächelnd reagierten, ist dem Leserbriefschreiber vermutlich garnicht aufgefallen. Vielleicht sollte er, wenn schon nicht die Stadtväter es tun, die Jugendlichen mal befragen, weshalb sie „in Industrie- und Kirchenruinen flüchten„. Obwohl, brauchte er nicht, die beiden Mädchen im Film gaben selbst die Antwort. Hat er vermutlich übersehen und überhört.
Zeit für Korrekturen?
Dennoch, es gibt zwischen Kap Arkona und Zeitz auch andere Stimmen. „Hoffentlich können die Zeitzerinnen und Zeitzer den Film ähnlich gut finden wie wir“, „Filmisch nicht das Stärkste, aber Stadt und Menschen kommen sehr sympatisch rüber“, „Wussten garnicht, dass Zeitz eine so lebendige Stadt ist. Zumindest am Tage“, „Witzig, ehrlich, frech, positiv“, „Lädst du mich mal ein?“. Mag sein, unsereins bewegt sich in einer anderen Bubble, keine Ahnung.
Das Fazit des Leserbriefschreibers ist nun: „Es wäre an der Zeit, eine filmische und szenische Korrektur vorzunehmen, nur wer wird’s tun?“ Ich hoffe das nicht. Denn es könnte ja sein, der nächste filmische Stadtschreiber beobachtet jene deutschen Mitbürger, die am Freisitz bei EDEKA und andernorts Müll und Zigarettenkippen fallen lassen, wo sie gerade stehen oder jene Meuten, die grölend und randalierend durch die Straßen ziehen. Kann auch sein, er ginge der Frage nach, wer die Zeitzer Menschen sind und was sie antreibt, in Sozialen Medien dermaßen über andere Menschen herzuziehen. Das wäre dann auch Zeitz, wenngleich nicht typisch.