November 22, 2024

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Milchmädchen und Verzweiflungstäter

Milchmädchen und Verzweiflungstäter

Sparen wir die Kultur kaputt? Einiges spricht dafür.

Das Jahr 2017 war für Zeitz ein gutes Jahr. Auch für das Museum Schloss Moritzburg. Es verzeichnete einen Besucherrekord (ZeitzOnline berichtete). Im Vergleich zum Vorjahr kamen doppelt so viele zahlende Besucher. Ob diese Tatsache in der Verwaltung jene kühnen Rechenvarianten auslöste ist nicht überliefert. Kühn allerdings ist das neuerlich dort angestellte Rechenexempel, wenn nicht gar tollkühn. Öffnungszeiten werden gekürzt, Eintrittspreise angehoben.

Konsolidierung – für Milchmädchenrechner und Verzweiflungstäter?

Das Team des Museums ist nun beauftragt, die Besucherzahlen des Vorjahres auch in diesem Jahr wieder zu erreichen. Wie? – davon konnten wir kein Wort finden. Mit gekürzten Öffnungszeiten? Bei gleichzeitiger Erhöhung der Eintrittspreise ab Juni? Ohne ein Ereignis wie die Pflugausstellung! Letztere allein brachte 2017 etwa 10.000 Besucherinnen und Besucher, mit Werbekampagne und professionellem Marketing der Vereinigten Domstifter!

Was sich ändert: das Museum öffnet nunmehr erst 12:00 Uhr, statt 10:00 Uhr wie zuvor. Ausnahmen werde es dem Vernehmen nach nicht geben. Weder in den Schulferien, noch an Tagen wie etwa den Internationalen Museumstag, dem Kinderfest im Schlosspark oder anderen Besuchermagneten im benachbarten Schlosspark. In den besucherschwachen Monaten Januar und Februar bleibt zu.
Die Eintrittspreise steigen ab Juni für Erwachsene und Jugendliche von 5 auf 6 Euro, für Kinder und ermäßigt von 3 auf 4 Euro, der Familientarif von 12 auf 15 Euro.

Mit den jüngsten Konsolidierungsideen riskiert die Stadt viel. Sie weiß es offenbar nicht. Wo andernorts unter anderem durch Marketingintensivierung Museumsstandorte gestärkt werden sieht es in Zeitz so aus, als wäre die Bedeutung des Museums nicht einmal erkannt.

Unsere Einschätzung „Schielt nicht nur nach dem Eintritt!“

Es ist Unsinn, vor diesem Hintergrund die gleichen oder gar eine Belebung der Besucherströme zu erwarten. Es ist Unsinn anzunehmen, diese Maßnahmen würden zur Haushaltskonsilidierung einen signifikanten Beitrag leisten. Im Gegenteil. Sie werden der Stadt auch wirtschaftlich schaden. Warum?

Jenseits der Betriebseinnahmen sind zusätzliche wirtschaftliche Beiträge einer kulturellen Einrichtung für eine Region zu betrachten. Wir sprechen hier von Umwegrentabilität, die sich vornehmlich aus zwei Quellen speist:

  • der zusätzlichen Kaufkraft durch Besucher aus anderen Regionen, die neben dem Besuch der Kulturveranstaltung noch weitere Wirtschaftsgüter in der Region nachfragen, und
  • der Auslösung zusätzliche wirtschaftlicher Aktivitäten durch Ausgaben der Kultureinrichtung innerhalb der Region.

Es ist unbestritten wie wichtig für die Umwegrentabilität einer Region, einer Stadt bedeutende kulturelle und touristische Einrichtungen sind. Und wiederum deren Attraktivät. Wie also steigern wir Attraktivität und Umwegrentabilität eines Museumsstandortes von diesem Rang? Durch kürzere Öffnungszeiten und Preissteigerung?

Zahlen zum Nachdenken

Begleitend zur Pflugausstellung nahmen die Vereinigten Domstifter unter den Besucher-/innen Umfragen vor. Wer die Auswertungen gelesen hat, dem würde eher einfallen, über Strategien in Vermarktung und Besucherakquise nachzudenken als den Zugang via Öffnungszeiten und Preisen unnütz zu erschweren.

Ein paar Beispiele.

Übernachtungen
Gut zu wissen, dass zwei Drittel der Befragten für eine Unterkunft zwischen 50 und 100 Euro auszugeben bereit sind. Pro Tag übrigens. Kürzere Öffnungszeiten sind unseres Erachtens nicht gerade förderlich, die ohnehin kurze Aufenthaltsdauer von Gästen der Stadt zu verlängern. Mehr als 50 Prozent der Befragten nutzen als Unterkunft eine Pension (17%) oder ein Hotel (35%). Geld, das jedenfalls in der Region bleibt.

Es freut sich der Gastronom
Kultur erleben macht auch Hunger und Durst. Keine neue Erkenntnis. Was aber geben Besucher am Tag dafür aus? Ein Drittel lässt sich das zwischen 25 und 49 Euro kosten, immerhin gibt fast die Hälfte für Verpflegung bis 25 Euro aus.

Der Shop im Museum
An der Museumskasse wird neben Service auch allerhand zum Verkauf angeboten. Dort geben je 42 Prozent der Befragten bis 24 bzw. zwischen 25 und 49 Euro aus, den restlichen 16 Prozent sind die Angebote zwischen 50 und 100 Euro wert. Nur ein Grund, weshalb die im letzten Zeitzer Stadtrat zum Glück gescheiterte Idee der Kassenschließung nur als völlig abstrus bezeichnet werden kann.

Ach, übrigens

Charmanter Nebeneffekt solcher Betrachtung: BesucherInnen geben unabhängig von obigen Angaben noch zusätzlich Geld in der Stadt aus. Etwa zum Parken oder Tanken. Noch wichtiger ist, sie besuchen weitere Sehenswürdigkeiten in Stadt und Umland, zahlen auch dort Eintritt und nehmen noch diese und jene Kleinigkeit mit. Jede Einengung des Zugangs zu kulturellen Einrichtungen durch geminderte Öffnungszeiten und höhere Preise hat also Auswirkungen nicht nur auf die betroffene Einrichtung. Erschwerend hinzu kommt ein nach wie vor desolates Marketing.

„KULTUR IST KEIN ORNAMENT. SIE IST DAS FUNDAMENT, AUF DEM UNSERE GESELLSCHAFT STEHT UND AUF DAS SIE BAUT. ES IST AUFGABE DER POLITIK, DIESES ZU SICHERN UND ZU STÄRKEN“ (Enquete- Kommission „Kultur in Deutschland“, 2007).

Davon sind wir 2018 noch ein Stück weiter entfernt als im Jahr zuvor.

Abb.: Vereinigte Domstifter

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About The Author

REINER ECKEL Jahrgang 1953, wohnt in Zeitz. Der Web 2.0-Enthusiast ist in Sachen Web, Grafik und Layout als Autodidakt unterwegs. Betreibt zeitzonline.de seit 23. Februar 2011.

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